Ein Licht, so grau in grün – Liedprogramm mit Vertonungen von Gedichten Richard Dehmels

  „Ein Licht, so grau in grün“

Ein Liedprogramm mit Vertonungen von Gedichten Richard Dehmels

Eine Einordnung Richard Dehmels und eine Reflexion der Veranstaltung von Hartmut Hecker

Die Jahrhundertwende 1900: eine Zeit des Umbruchs. Alte Ordnungen beginnen, sich aufzulösen. In der Zeit der Übergänge brechen sie sich wie die Lichter in einem Prisma und leuchten in alten und neuen, noch unbekannten Farben. Neue Ordnungen werden gesucht in der Literatur, der Malerei, in der Musik. Weit und überall werden sie erprobt, noch immer aus den alten Formen heraus, aber in wilden Brüchen und in noch unerfahrenen, erschreckenden oder sich verlierenden Wendungen.

Ein Skandal wie die Auffürung des „Sacre du printemps“ von Igor Strawinsky wird ein bekannter Höhepunkt dieser Entwicklung. In der Malerei wagen Paul Klee und andere den Weg zu abstrakten Elementen in ihren Werken. In der Literatur wendet sich Rainer Maria Rilke in seinen „Duineser Elegien“ den tiefsten Elementen seines eigenen Erfahrens zu („Ein jeder Engel ist schrecklich“).

Und Arnold Schönberg: er vertonte Texte von Richard Dehmel, am bekanntesten: „Verklärte Nacht“, ein Streichsextett, in seiner Anlage aus der Tradition heraus komponiert, aber mit allen Elementen der Entfremdung und mit den elementar eindrucksvollen Brüchen, die eine gewaltige Verwandlung und Erhöhung traditioneller Ausdrucksformen ermöglichen.

Dem Dichter Richard Dehmel ist auch ein Großteil der Lieder gewidmet, die der Pianist Jens Hamer und die Sopranistin Constanze Hose in einer Matinee im großen Saal des Hölderlin Eins aufführen.  

Bei der Durchsicht des Programms fällt auf, dass nur wenige der ausgewählten Komponisten und Textdichter zu den weithin bekannten gehören. Dies ist gewollt und erweist sich als ein genialer Schlüssel zur Beleuchtung der Aufbruchszenerie in der Jahrhundertwende. Alle Künste sind miteinander verwoben, wie auch die Künstler untereinander.

Stellvertretend dafür das Beispiel Alma Mahler, Frau von Gustav Mahler. Sie war in Freundschaft verbunden mit bedeutsamen Musikern ihrer Zeit (z.B. Richard Strauss, Igor Strawinsky, Arnold Schönberg, Franz Schreker, Alexander von Zemlinsky), mit Künstlern (Gustav Klimt, Oskar Kokoschkar) und Literaten (Gerhard Hauptmann, Thomas Mann, Franz Werfel, den sie 1929 in dritter Ehe heiratete).

Wie treffend, dass Alma Mahler weit oben im Programm mit gerade dem zentralen Text der Matinee (Richard Dehmel: „Die stille Stadt“) als Komponistin vorgestellt wird (sie musste ihr Komponieren aufgeben, um Gustav Mahler zu heiraten).

Wie treffend auch, dass mit Richard Strauss und insbesondere mit Franz Schreker und Alexander von Zemlinsky weitere ihrer Freunde als die zentralen Komponisten des Programms gewählt wurden. Diese beiden, sowohl in Klavierfantasien als auch in Liedvertonungen, lassen alle Impulse dieser Aufbruchzeit, die sich als Musik ereignen, lebendig werden.

Und Richard Dehmel?

Heute fast vergessen. Er erregte Aufsehen damals, mit seinen Gedichten, die alte Konventionen sprengten. „Die stille Stadt“ aber ist eine Lyrik, in der aus der deprimierendsten Düsternis heraus „ein Lichtlein“ beschworen wird „aus Kindermund“.

Sopranistin Constanze Hose
Pianist Jens Hamer

 

 

 

 

 

 

 

 

Drei Vertonungen dieses Gedichts stellen die beiden Künstler des Matinees, Jens Hamer und Constanze Hose, vor: von Alma Mahler, Kurt Weill und von Jean Sibelius. Ein Einblick sondergleichen in verschiedene Lied-Interpretationen desselben Textes. 

Und sie stellen noch viel mehr vor: Sie geben Einführungen und Erläuterungen, verweisen vor der jeweiligen Aufführung einzelner Kompositionen auf Charakteristika der Kompositionsweise und auf ihre Zusammenhänge mit den literarischen Vorlagen.

Auch hier also ein Aufbruch: von der rituellen Aufführungspraxis hin zu einem nähebringenden Wort- und Musikdialog mit den Zuhörern.

Ja und wie war die Aufführung?

Richtig gut, begeisternd! Einfühlsam und ausdrucksstark der Klavierbegleiter. Und mit sicherer Klarheit und mit betörendem Ton in allen Lagen die Sopranistin.

Ein grandioses Ereignis der Liedkunst.

 

(Hartmut Hecker)